Andere Bezeichnungen

  • Anfallsleiden
  • Fallsucht

 

Gängige Abkürzungen

  • Keine

Klassierung der Krankheit nach ICD-10

Zur Verschlüsselung von Diagnosen wird weltweit die von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebene ICD, die Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, angewendet. Sie werden vor allem in Überweisungsschreiben zwischen Tierärzten/Tierspital verwendet.

ICD-10 CodeKrankheit
G40 Epilepsie
G41 Status epilepticus

ICD-10 online (WHO-Version 2013)

Was ist die Krankheit?

Der Begriff Epilepsie beschreibt ein Krampfleiden, das seine Ursache im Gehirn hat.

Wenn sich der Hund bewegt, bellt, schnüffelt oder einfach nur guckt, findet so etwas wie eine elektrische Kopplung im Gehirn statt. Diese elektrische Kopplung ist nötig, damit der Gedanke, z.B. zu markieren, in die Tat umgesetzt werden kann. Das Gehirn sagt einem Nerven: "bitte markiere an diesem Baum". Der Nerv gibt diese Information an die Muskeln der Hinterbeine weiter. Im Gehirn wird währenddessen nach der Information gesucht, auf welcher Seite das Bein gehoben werden soll. Jede dieser Aktionen im Gehirn hat einen festgelegten Platz und ist mit einer elektrischen Kopplung verbunden. Genauso wie der Toaster Strom benötigt, braucht das Gehirn Strom, um Informationen zu empfangen, zu verknüpfen und weiterzugeben.

Bei einem epileptischen Anfall passiert diese elektrische Verknüpfung, ohne dass die Situation dazu passen würde. Mediziner bezeichnen diesen Zustand als Spontanentladung der Nerven im Gehirn. Das heisst, das Gehirn gibt das Kommando das Bein zu heben, ohne dass der Wunsch besteht zu markieren. Bei einer Epilepsie kann auch das Kommando gegeben werden etwas bestimmtes zu sehen oder Nahrung zu riechen, ohne dass diese in der Nähe steht. Der Epileptiker hat diese Symptome nur während eines Anfalls.

Nicht immer passt das Wort „Krampfleiden“ zu einer Epilepsie. Es gibt auch Formen, bei denen der Hund einfach nur abwesend erscheint. Der Hund schaut in die Gegend und reagiert nicht auf Zureden des Besitzers. Er wirkt wie ein Träumer. Diese Formen sind für den Laien nur sehr schwer zu erkennen. Es gibt sehr viele Arten von Epilepsien. Meist ist ihr Auftreten an ein bestimmtes Lebensalter gebunden. Das heisst, der Welpe leidet an einer ganz anderen Form der Epilepsie als der erwachsene Hund.

Epilepsien werden nach drei wesentlichen Gesichtspunkten eingeteilt. Ein Aspekt ist hierbei die Ursache der Epilepsie. Einige Epilepsieformen sind die Folge einer direkten Störung im Gehirn. Ist das Gehirn zum Beispiel entzündet (Enzephalitis) kann es zur Epilepsie kommen. Genauso können ein Schädel-Hirn-Trauma oder ein Tumor die Basis für eine Epilepsie bilden. Diese Art der Epilepsie wird auch symptomatische Epilepsie genannt. Sie ist das Symptom einer ganz anderen Grunderkrankung.

Wenn die Grunderkrankung keine Erkrankung des Gehirns ist, spricht man von Gelegenheitskrämpfen. Ein Gelegenheitskrampf ist ein Krampf, der bei ganz bestimmten Zuständen des Körpers auftritt. Der Fieberkrampf ist ein Gelegenheitskrampf. Ist das Fieber gesunken tritt dieser Krampf nicht mehr auf.

Es gibt aber auch eine Epilepsie einfach so, ohne dass eine andere Erkrankung im Gehirn vorliegt, bzw. nachweisbar ist. Der Arzt spricht hier von einer idiopathischen Epilepsie.

Ein weitere Einteilung unterscheidet primär generalisierte Epilepsien von so genannten fokalen Formen. Generalisiert heisst, die (sinnlose) elektrische Entladung beginnt an vielen Stellen im Gehirn gleichzeitig. Generalisierte Epilepsien erkennt man daran, dass der Hund während des Anfalls nicht ansprechbar ist. Schwere generalisierte Formen werden Grand-mal-Anfälle genannt. Bei einer fokalen Epilepsie beginnt die elektrische Entladung an einer ganz bestimmten Stelle. Es kann zum Beispiel die Stelle im Gehirn betroffen sein, die für die Bewegung des rechten Vorderlaufes zuständig ist. Hier beginnt der epileptische Anfall mit Zuckungen des rechten Vorderlaufes. Jeder fokale Anfall kann generalisieren. Das bedeutet, dass die elektrische Entladung von der Stelle im Gehirn für den rechten Vorderlauf, auf das ganze Gehirn übergreifen kann. Der Hund ist während des Anfalls nicht ansprechbar.

 

Video eines epileptischen Anfalls "Grand Mal"

Video eines Krampfanfalles. Der Ursprung liegt in einer viralen Erkrankung des Kiefers!

 

Symptome

Generalisierte Anfälle

Schlagartiges Hinstürzen, erst tonische, dann klonische Krämpfe und schliesslich Laufbewegungen, Kaubewegungen, vermehrter Speichelfluss, ein- oder beidseitige Erweiterung der Pupille (Mydriasis), zeitweise violette bis bläuliche Verfärbung der Haut, der Schleimhäute, der Lippen (Zynose), bedingt durch Atemstillstand. Harn- und Kotabsatz.

Grand-mal-Anfälle können bei fehlender Erholungsphase oder bei Bestehenbleiben der tonischen Krämpfe in den lebensgefährlichen Status epilepticus übergehen.

Gelegentlich bei den generalisierten, seltener bei den partiellen Anfällen laufen epileptische Krämpfe in vier Stadien ab, die jedoch nicht alle in jedem Fall beobachtbar sind:

  1. Prodromalphase: Dem eigentlichen Anfall Stunden bis Tage vorhergehende "Anfallsvorbereitungszeit". Kennzeichen: Unruhe, Bewegunsdrang, Verkriechen des Hundes.
  2. Aura: Kurz vor Beginn des Anfalls; der Hund sucht die Nähe des Menschen, zeigt eventuell abnorme Reaktionen oder versteckt sich.
  3. Iktus: Der eigentliche Krampfanfall von kurzer Dauer (2 bis 5 Minuten) bei der primären ("echten", idiopathischen) Epilepsie und langer Dauer bei der sekundären Epilepsie (metabolische Störungen, Vergiftungen, Neoplasien). Anschliessend folgt die
  4. postiktale Phase (Erholungsphase): Kann mit oder ohne Bewusstseinstrübung und Verhaltensstörungen verlaufen und Minuten, mehrere Stunden oder einige Tage dauern.

Partielle oder fokal bedingte Anfälle

Fokale elektrische Entladungen mit kurzen Kontraktionen einzelner Muskelgruppen; tonisch-klonische Krampfbewegungen eines Beines, Verbiegen des Rückens usw., können vergesellschaftet sein mit Verhaltensveränderungen und Halluzinationen ("Fliegenschnappen", Schwanzbeissen, Raserei, Angstzustände = psychomotorische Anfälle) oder gelegentlich vegetativen Störungen wie Speichelfluss (Salivation) oder Durchfall. Der partielle epileptische Anfall kann in seltenen Fällen in einen generalisierten Anfall übergehen.

Diagnose

Idiopathische Epilepsie

Bei dieser Epilepsieform fehlen Allgemeinstörungen. Es lassen sich weder morphologische (Aussehen) noch Liquor- (Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) bzw. Blutveränderungen nachweisen. Die Diagnose erfolgt auf dem Ausschlussweg. Es werden besonders Hunde zwischen 1 und 4 Jahren und gewisse Rassen betroffen (Schnauzer, Pudel, Cocker-Spaniels usw.).

Sekundäre Epilepsie

Sie kann intra- (im Schädel gelegen) oder extrakraniell (ausserhalb des Schädels) bedingt sein und erfordert eine kausale Therapie, weshalb eine genaue ätiologische Abklärung (Ursachenfindung) äusserst wichtig ist. Ab ca. 8 Jahre sind sekundäre Epilepsien häufiger als primäre.

Ursachen der intrakraniellen Epilepsien: Traumata, Tumoren und Entzündungen des Hirns und seiner Häute (Enzephalitis, Meningitis, Meningoenzephalitis). Allgemeinstörungen können fehlen. Signifikant sind die neurologischen Defizite und Liquorveränderungen.

Extrakranielle Ursachen für sekundäre Epilepsien: Metabolische Störungen, Vergiftungen, Medikamentenwirkungen (z.B. Insulin), Ernährungsmangel (Thiamin-Mangel) und kardiovaskuläre Störungen. Die Diagnose erfolgt mit: Butchemische Untersuchungen, Liquoruntersuchung (Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit), Schädelröntgenbilder, Neurostatus mit systematischem Ausschlussverfahren und Berücksichtigung von Rassedispositionen.

Behandlung Schulmedizin

Die sekundäre Epilepsie ist kausal (der Ursache entsprechend), die primäre nur symptomatisch behandelbar, da es sich um familiäre, z.T. vererbliche Prädispositionen handelt.

Bei den Epilepsien des Hundes ist nur mit einer medikamentösen Langzeittherapie ein therapeutischer Erfolg zu erzielen. Antiepileptika heilen die Epilepsien nicht, sie vermögen aber das Auftreten von epileptischen Anfällen zu verhindern bzw. ihre Häufigkeit, Schwere und Dauer zu mindern. Ziel einer antiepileptischen Therapie muss sein, Anfallsfreiheit oder eine weitgehende Anfallsreduktion zu erzielen, ohne die Lebensqualität durch Nebenwirkungen einzuschränken.

Der Therapiebeginn wird von der Frequenz und Intensität der Anfälle bestimmt. Vor Therapiebeginn sollten 2 bis 4 Anfälle abgewartet werden, denn auch beim Hund kommen epileptische Anfälle vor, die nur ein- oder zweimal auftreten oder sich nur in sehr grossen Abständen wiederholen (Gelegenheitsanfälle) und daher nicht zu therapieren sind. Bei 4 bis 6 leichten Anfällen pro Jahr kann auf eine Therapie verzichtet werden, es sei denn sie wird ausdrücklich gewünscht oder die anfallsfreien Intervalle verkürzen sich. Erfahrungsgemäss werden bei sehr niedriger Anfallsfrequenz die Antiepileptika nicht regelmässig verabreicht, was mehr schadet als hilft. Eine höhere oder zunehmende Anfallsfrequenz, heftige Anfälle und vor allem Serienanfälle (mehr als 2 Anfälle in 24 Stunden) erfordern einen raschen Therapiebeginn und eine konsequente Therapie. Je früher die Therapie beginnt, und je rascher eine wirksame Konzentration des Antiepileptikums im Blut (Serum) erreicht wird, um so besser ist der zu erzielende Therapieerfolg.

Prognose

Die primäre (idiopathische) genuine Epilepsie ist unheilbar, aber meistens medikamentös kontrollierbar. Die Prognose der sekundären Epilepsie ist von der Ätiologie (Ursache) abhängig.